Schwere Jungs.
Als Mutter eines Sohnes erinnere ich mich an einen – für mich als Frau – bis heute prägnanten Aha-Moment, während dessen sich ausschließlich männliche Teenager versuchten mit der Höhe ihres aktuellen Körpergewichts zu übertrumpfen. Nicht auszudenken bei der weiblichen Spezies.
Auch wurde ich mehrmals Zeugin, meist spontaner, Rülps-Wettbewerbe. Es gab dabei eine sogenannte ‚Rülpsskala‘ von 1-10. Um die begehrte 10 zu erreichen wurden Unmengen kohlensäurereicher Getränke konsumiert. Dabei wurde der Begriff der ‚Nach-oben-offenen-X-Rülpsskala‘ geprägt. ‚X‘ diente der Individualisierung und wurde ersetzt durch einen Familiennamen, die Stadt, den Verein etc.
„Nach-oben-offen“ heißt: es gibt keine Begrenzung, kein Ziel, das letztlich erreicht werden kann. Du bist solange Sieger, bis dich ein anderer – mit einem lauteren Rülpser – übertrumpft.
Gewinnmaximierung
An diese Begebenheit denke ich in letzter Zeit sehr häufig in ganz anderem Zusammenhang: In der Beratung von Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialbereich.
Immer deutlicher treten dort die (faulen) Früchte von Entscheidungen und Entwicklungen insbesondere der letzten drei Jahrzehnte hervor. Ein Weg, der durch die Veränderungen der Privatisierung, in eine Richtung geführt hat, der „Nach-oben-offenen-Gewinnmaximierung“.
Wann ist das Ende, das Ziel erreicht? Wann wurde genug „gewonnen“ bzw. „Gewinn maximiert“?
Beziehungsmaximierung
Ohne an dieser Stelle eine umfassende sozialpolitische Abhandlung zu erstellen, möchte ich lediglich einen Gedanken zur Diskussion stellen, der mich in den Beratungssituationen zunehmend beschäftigt:
Was würde wohl passieren, wenn wir „umkehren“ und (wieder) beginnen würden, unsere Entscheidungen und unser Handeln unter der Prämisse der Beziehungsmaximierung zu betrachten? In der Haltung:
Wie diene ich mit meiner Branche, meinem Tun einem anderen Menschen bzw. der Menschheit?
Think Tank „…a better world for you and for me.“
Die solide, gebaute Straße, die dazu dient, dass Menschen von A nach B sicher gelangen.
Die hochwertige Kühltechnik, die dazu dient, dass Menschen unverdorbene Lebensmittel zu sich nehmen und diese nicht verschwendet werden.
Die Stabilisierung und Ausweitung der Telekommunikation, die dazu dient, dass Menschen über Distanzen temporär Beziehung weiter pflegen können oder (lebens-) notwendige Information schnell ausgetauscht werden kann.
Die bezahlbaren Häuser, die dazu dienen, Familien Schutz und Heimat zu geben, wo gelebt und geliebt wird und Kinder starke Wurzeln bilden können.
Stellen Sie sich einmal eine Welt vor, wo Beziehung vor Wirtschaftlichkeit käme!
Eine Welt mit der Maxime: Handeln allein aus Liebe. Utopisch? Weltfremd?
Aufwachen!
Manchmal verliere ich mich bei diesen „Nach-oben-offenen“ Gedanken und in mir entsteht eine Welt, die ich mir für mich, aber vor allem für nachfolgende Generationen, von Herzen ersehne!
An manchen Tagen ist dieses Sehnen so stark, dass ich in Beratungssituationen am liebsten einmal kurz losbrüllen möchte: Wacht auf! Wann ist es genug?
Doch mit dem „Brüllen“ ist das im professionellen Kontext so eine Sache…
Also werde ich stattdessen, wo ich ein Mandat erhalte, weiter beharrlich den Blick auf den Menschen richten, hoffnungsweiten Raum bieten und darauf vertrauen, dass die gesäten „Samen“* zu ihrer Zeit aufgehen werden.
* Apropos ‚Samen‘: Im Sommer habe ich 43 (winzige) Radieschensamen gesät – ich habe sie tatsächlich gezählt 😉. Es haben sich 17 teils zarte, aber auch kräftige Jungpflänzchen entwickelt. Ich war zuerst ziemlich enttäuscht. Es hätten mehr sein können, oder? Aber dann: Jedes einzelne Radieschen war Genuss und wurde entsprechend genossen und gewürdigt! Was für ein Fest! (SR)
Foto: Samuel Ramos unter www.unsplash.com Stand: 03.02.2025